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Motorradunfall: PTBS anerkannt

18.02.2015

Der 1972 geborene Mandant, von Beruf Handwerksgeselle, erlitt als Motorradfahrer im Jahr 2002 einen schweren Verkehrsunfall. Er kollidierte mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Renault Clio, wurde über das Autodach geschleudert und zog sich Prellungen im gesamten Körperbereich, eine offene Wunde am Oberarm, eine HodenRuptur links sowie eine Hodenkontusion rechts zu. Wegen eines ausgedehnten Skrotalhämatoms musste der linke Hoden entfernt werden. In einem Urteil des Landgerichtes Chemnitz aus Januar 2007 wurde die Haftpflichtversicherung des Autofahrers verurteilt, an den Mandanten ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro zu zahlen. Außerdem wurde die Haftpflichtversicherung verpflichtet, 2/3 sämtlicher materieller Schäden aus dem Unfall zu zahlen.

Mit der Klage vor dem Landgericht Hannover machte der Mandant Verdienstausfallschäden von Mai 2002 bis April 2013, Haushaltsführungsschaden vom 01.11.2004 bis April 2013 geltend. Die Haftpflichtversicherung bestritt den Schaden.

Zum Unfallzeitpunkt 2002 arbeitete der Mandant als Tischlergeselle in einer Tischlerei. Seit dem Unfall ist er nicht mehr berufstätig. Nach dem Unfall erhielt er Lohnfortzahlung, Übergangsgeld, Krankengeld, Arbeitslosengeld, eine Erwerbsminderungsrente und ab 01.02.2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Rentenbescheid vom 06.05.2014 wurde eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer bewilligt. Sämtliche außergerichtlichen Gutachten bescheinigten dem Mandanten starke psychische Probleme mit Angstgefühlen und Schweißausbrüchen, eine deutliche psychische Labilität. Es wurde bereits 2003 die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt. In einem erneuten Gutachten aus 2009 wurden eine chronifizierte unfallbedingte depressive Störung im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert.

Der Mandant behauptete, er leide als Folge des Verkehrsunfalles unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Deshalb sei seine Arbeitsfähigkeit zu 100 %, seine Fähigkeit, den Haushalt zu führen, zu 40 % eingeschränkt. Die beklagte Haftpflichtversicherung bestritt von Beginn an das Vorliegen einer PTBS und legte in dem Rechtsstreit vor dem Landgericht Hannover insgesamt fünf Privatgutachten von Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie vor. Danach hätten sämtliche psychischen Beeinträchtigungen bereits vor dem Unfall vorgelegen. Der Mandant hätte sich um Arbeit, zumindest eine Teilzeitarbeit bemühen müssen, dann wäre es ihm auch psychisch besser gegangen.

Während des Prozesses wurde der Mandant von einem Privatdetektiv, den die gegnerische Haftpflichtversicherung beauftragt hatte, mehrfach beobachtet. Trotz umfangreicher Einwendungen im Prozess, insbesondere in den Verhandlungsterminen im April 2013 und 30.04.2014, blieb der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinen vier schriftlichen Gutachten und in den mündlichen Verhandlungen bei seiner Diagnose, dass beim Mandanten eine unfallbedingte PTBS eingetreten sei. Sämtliche Einwendungen der beklagten Haftpflichtversicherung hatten das Landgericht Hannover und das Oberlandesgericht Celle zurückgewiesen.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige verfüge über besondere Fachkenntnisse auf dem Gebiet der posttraumatischen Belastungsstörungen. Er habe darauf hingewiesen, in der MHH mit israelischen Wissenschaftlern über die Thematik "posttraumatischer Belastungsstörungen bei KZ-Überlebenden" zusammengearbeitet zu haben. Er sei deshalb mit dieser Problematik im besonderen Maße vertraut. Für die Richtigkeit seiner Bewertung spräche bereits, dass der gerichtliche Sachverständige den Mandanten als einziger persönlich untersucht habe. Die persönliche Exploration eines Patienten stelle die wesentliche Grundlage einer psychiatrischen Diagnose dar. Aus diesem Grunde verfüge der gerichtliche Sachverständige auch als einziger über die maßgebliche Erkenntnisquelle der Diagnose. Die Begutachtungsbasis des Sachverständigen - Auswertung der Vorbefunde, Untersuchung des Mandanten, Befragen seines Bruders - sei ausreichend, um das Gutachten zu erstatten. Es sei nicht notwendig gewesen, sogenannte Beschwerdevalidierungstest durchzuführen. Objektive Tests über das Vorliegen einer PTBS gäbe es nach Ausführungen des Sachverständigen nicht. Es existiere ein einziger Test aus dem Jahre 1989 von Morel. Dieser sei jedoch nicht validiert. Maßgeblich für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung seien die Definitionen nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD 10) und nach der Diagnostic and Statistical Manual of Mental Desorders - DSM- 5.

Sämtliche ICD 10- und DSM-5-Kriterien seien beim Mandanten erfüllt: Die Erkrankung träte zumeist innerhalb von sechs Monaten nach einem traumatisierenden Ereignis ein. Dieses sei beim Mandanten der Fall gewesen. Insbesondere habe er die unfallbedingte Entfernung des Hodens als traumatisierend erlebt. Der Unfall stelle ein traumatisierendes Ereignis dar, welches die PTBS hervorgerufen habe. Beim Mandanten werde das Trauma (Verkehrsunfall) in sich aufdrängenden Erinnerungen (Flashbacks), Träumen und Alpträumen wiederholt und unausweichlich wiedererlebt. Der Mandant sei verlangsamt denkfähig, könne schwer kooperieren. Diese verlangsamten Reaktionen seien im Rahmen eines Gesprächs über das traumatisierende Ereignis als Teilsymptome einer PTBS anzusehen. Der Patient habe eine ausgeprägte vegetative Erregbarkeit gezeigt und sich viele Selbstvorwürfe gemacht. Es seien deutliche körperliche Reaktionen wie Schreckhaftigkeit, Schwitzen und leichtes Zittern festzustellen gewesen. Er habe deutliche depressive Tendenzen aufgewiesen und von Alpträumen berichtet. Eine Simulation sei nach kritischer Würdigung ausgeschlossen.

Der Sachverständigen hatte im Verhandlungstermin unter Hinweis auf einen Aufsatz von Dressing und Foerster mit dem Titel "Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstörung" erläutert, dass beim Mandanten keines der dort genannten Kriterien für eine Simulation vorhanden gewesen sei. Für die Richtigkeit der medizinischen Einschätzung des Sachverständigen sprächen auch die medizinischen Vorbefunde. Bereits wenige Monate nach dem Unfall sei ein weitgehend hilfloser, in seinem inhaltlichen Denken eingeschränkter, auf die Symptomatik fixierter, regressiv anmutender und hohem Maße Verantwortung an andere Personen delegierender Patient beschrieben. Nach diesen überzeugenden Ausführungen sei der Mandant aufgrund der PTBS seit dem Unfall zu 100 % arbeitsunfähig.

Es sei nachvollziehbar erläutert, dass nach Auswertung der Fremdbefunde, der Fremdanamnese des Bruders sowie den Untersuchungsergebnissen davon auszugehen sei, dass seit dem Unfall im Jahre 2002 durchgehend Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, die letztendlich in eine Erwerbsunfähigkeit eingemündet sei. Zu keinem Zeitpunkt sei der Mandant in der Lage gewesen, auch nur geringfügig zu arbeiten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Patient aufgrund der unfallbedingten posttraumatischen Belastungsstörung sogar zu 100 % nicht in der Lage, seinen Haushalt zu führen. Nichts anderes ergebe sich daraus, dass er im gewissen Umfang Gartenarbeit durchführe, sportliche Aktivitäten unternehme und auch Auto fahre. Entscheidend sei, dass all dies nur therapeutischen Zwecken diene. Zur selbständigen Haushaltsführung sei er nicht in der Lage.

Bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens legte die Kammer einen Stundensatz von 8 Euro zugrunde (vgl. OLG Celle, Urteil vom 02.06.2010, AZ: 14 U 55/10, juris, Rdn. 59).

(Landgericht Hannover, Urteil vom 30.06.2014, AZ: 12 O 291/08; OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 26.11.2014, AZ: 14 U 131/14)

Christian Koch, Fachanwalt für Verkehrsrecht

 
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