Hundebiss falsch behandelt: 117.605,25 Euro
07.09.2017
Die 1967 geborene Angestellte wurde 2011 in die rechte Hand gebissen. Sie erlitt eine punktförmige Verletzung an der Hohlhandseite des rechten Daumenballens und eine ganz oberflächliche Schürfwunde an der Handrückenseite der rechten Hand. In der Notaufnahme des Krankenhauses spritzte die Ärztin mit einem Röhrchen in den Bisskanal der rechten Hand zur Desinfektion 10 ml Octenisept und dann Kochsalzlösung in den rechten Daumenballen. Am nächsten Tag spülte die Ärztin erneut die Wunde über ein Plastikröhrchen mit Octenisept und Kochsalzlösung. Wegen zunehmender Beschwerden stellte sich die Mandantin noch am selben Tag in der Chirurgischen Ambulanz vor, wo eine massive Schwellung im Bereich des rechten Thenars, ein deutlicher Druckschmerz und eine beginnende Lymphangitis am rechten Unterarm diagnostiziert wurden. Die Mandantin wurde noch am selben Tage notoperiert. Postoperativ war die Wunde überwärmt und gerötet. Wegen einer massiven Schwellung des Daumenballens und des Handrückens mit Glanzhaut, die Langfinger in Tatzenstellung, erheblicher Schmerzhaftigkeit der Beugung und Streckung der Langfinger wurde die Mandantin in ein Handtraumazentrum verlegt. Bei der notfallmäßigen Revision der rechten Hand fand sich nekrotisches Gewebe, das nach Darstellung des ersten und zweiten Fingernervens reseziert werden musste. Die Daumenballenmuskulatur war im oberflächlichen Bereich avital. Der oberflächliche Ast der Arteria radialis zog sich durch das nekrotische Daumenballengewebe und war ebenfalls abgestorben. Die Ärzte entfernten die nekrotischen Anteile des Musculus abductor pollicis brevis und weitere Muskeln des Daumenballens vollständig. Ein Keimwachstum konnte nicht nachgewiesen werden. Die Mandantin leidet unter einem Taubheitsgefühl am Handrücken bzw. an der Streckseite der rechten Mittelhand und an der Innenseite des Daumens bis zur Daumenkuppe (Taubheitsgefühl im Bereich der Hohlhand über den Daumenballen, Schmerzen im rechten Handgelenk). Der rechte Daumen, Zeige- und Mittelfinger können im Alltag nicht richtig eingesetzt werden. Die Greiffunktion ist eingeschränkt. Mit der rechten Hand kann die Mandantin (Rechtshänderin) weder grob noch fein fassen. Sie kann sich mit der rechten Hand keine Bluse zuknöpfen, auch die Körperpflege mit der rechten Hand ist erheblich eingeschränkt. Der gerichtliche Sachverständige hatte bestätigt: Die aseptische Muskelnekrose der rechten Daumenmuskulatur sei auf die grob fehlerhaften Spülungen mit Octenisept-Lösung zurückzuführen. Bei einer aseptischen Muskelnekrose nach Spülung einer punktförmigen Wunde handelt es sich um eine bekannte, mehrfach beobachtete und beschriebene Nebenwirkung der Octenisept-Lösung. Nach einer Spülung einer punktförmigen bzw. kanalförmigen Wunde mit Octenisept verbleibe diese antiseptische Lösung im Gewebe, breite sich dort aus und führe aufgrund der bekannten zytotoxischen Wirkung zu ausgedehnten, begrenzten Muskelnekrosen. Die Spülflüssigkeit sei zwei Tage im Gewebe verblieben und habe in diesem Zeitraum ihre nekrotisierende Wirkung entfalten und damit die Nekrosen herbeiführen könnten. Punktionswunden müssten so weit eröffnet werden, dass die Wunde ausreichend gereinigt und drainiert werden könne. Bereits seit 2010 werde vor dem Einbringen von Octenisept unter Druck bei Stichverletzungen der Hand wegen der Gefahr der Gewebeschädigung gewarnt. In der Fachinformation zu Octenisept werde seit 2005 ein Warnhinweis bezüglich der Wundspülungen deutlich sichtbar angebracht. Jede Ärztin sei bei Anwendung des Medikamentes verpflichtet, zuvor die Fachinformationen zu lesen und gemäß der Fachinformationen das Medikament anzuwenden. Der ausgedehnte Gewebeuntergang im Daumenballen sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ohne den Behandlungsfehler vermeidbar gewesen. Die Mandantin habe durch diesen Fehler eine beträchtliche Einschränkung der Funktion der rechten Hand erlitten. Es handele sich um einen Dauerschaden, der sie bei sämtlichen alltäglichen Dingen wie Einkaufen, Haushaltsführung, Hobby, ihrer Arbeit erheblich behindere. Die rechte Hand weise eine deutliche Muskelminderung mit einer ausgedehnten Narbe auf, insbesondere auf dem Daumenballen. Es liege somit eine sichtbare und kosmetisch auffällige Formveränderung vor. Nach umfangreichen Verhandlungen mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung, die außerhalb des Zivilprozesses geführt wurden, konnte abschließend ein Betrag in Höhe von 117.605,25 Euro zuzüglich der außergerichtlichen RechtsAnwaltskosten als Schadensersatz vereinbart werden. Darin enthalten war ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro, der kapitalisierte Haushaltsführungsschaden und der Verdienstschaden der Mandantin. Mit aufgenommen wurde ein Steuervorbehalt: Das Krankenhaus verpflichtete sich, auf Nachweis eventuell auf die Abfindungszahlung zu entrichtende Steuern zusätzlich zu übernehmen. (Landgericht Düsseldorf, Vergleich vom 02.06.2017, AZ: 3 O 22/13) Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht
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