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Hodentorsion verkannt: 17.500 Euro

13.11.2025

Mit Urteil vom 09.07.2024 ist eine Kinderärztin verurteilt worden, an meinen Mandanten ein Schmerzensgeld in Höhe von 17.500 Euro zu zahlen. Die Kinderärztin ist ebenfalls verpflichtet worden, alle Schäden aus der fehlerhaften Behandlung auch für die Zukunft zu ersetzen. Sie muss auch meine außergerichtlichen Gebühren bezahlen.

 

Der damals 3-jährige Mandant bekam während eines Urlaubes plötzlich starke Bauchschmerzen. Die Eltern riefen den Rettungsdienst und brachten ihn in die Praxis der Kinderärztin. Als Verdachtsdiagnose ergab sich aus den Behandlungsunterlagen ein unklares Abdomen. Es sei plötzlich zu kolikartigen Bauchschmerzen gekommen. Darmgeräusche seien zu hören. Das Abdomen sei leicht abwehrgespannt. Es handele sich um ein unklares erstmalig aufgetretenes Abdomen. Als Diagnose notierte die Kinderärztin: Bauchschmerzen und Gastroenteritis.

 

Die Ärztin führte keine Untersuchung des Genitalbereiches des Kindes durch. Weil sich die Beschwerden in der Folgezeit nicht besserten, fuhren die Eltern zurück nach Hause und stellten sich drei Tage später in einem Krankenhaus am Wohnort vor. Es zeigte sich eine Schwellung des linken Hodens mit starken Schmerzen, die jedoch wieder abnehmend waren. Die Ärzte stellten die Diagnose einer Hodentorsion links und die Indikation zur notfallmäßigen Hodenfreilegung. Bei der Operation stellte sich heraus, dass der linke Hoden bereits abgestorben war. Die Ärzte führten eine radikale inguinale Orchiektomie links durch und entfernten den linken Hoden.

 

Ich hatte der Kinderärztin vorgeworfen, das Kind nicht ordnungsgemäß untersucht und die Hodentorsion links nicht erkannt zu haben. Es handele sich bei einer Hodentorsion um einen klassischen urologischen Notfall, der schnelles Handeln erfordere. Die Symptome einer Hodentorsion seien ein plötzlich auftretender Schmerz im Hodensack, mit Ausstrahlung in die Leiste und den Unterbauch. Durch die Hodenverdrehung sterbe das Gewebe aufgrund Sauerstoffmangels ab. Es bestehe bei einer kompletten Torsion nur ein Zeitfenster von ca. 4 bis 6 Stunden. Nach Diagnosestellung oder bereits bei dem Verdacht sei der Hoden umgehend operativ freizulegen. Der Hoden müsse gegen die Torsionsrichtung gedreht und die Durchblutung wieder hergestellt werden. Anschließend müsse der Hoden fixiert werden, um einer erneuten Torsion entgegenzuwirken. Hätte die Kinderärztin die Untersuchung nach dem kinderärztlichen Facharztstandard durchgeführt, wäre die Hodentorsion von ihr erkannt und eine sofortige Notoperation durchgeführt worden. Hierdurch wäre der Hoden gerettet worden.

 

Nach Anhörung des Sachverständigen hat das Landgericht entschieden: Die Kammer sei davon überzeugt, dass eine Untersuchung der Skrotalregion durch die Ärztin mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit zum Befund einer Torsion des linken Hodens geführt hätte. Eine hypothetisch unterlassene Einweisung des Klägers in eine Klinik zur umgehenden operativen Versorgung der Hodentorsion wäre ein Grober Behandlungsfehler gewesen. Die Sachverständige habe ausgeführt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Hodentorsion bei der Vorstellung bei der Kinderärztin vorgelegen habe. Auch der Umstand, dass der Kläger nach der Vorstellung bei der Kinderärztin über mehrere Tage symptomarm gewesen sei, spräche nicht gegen das Vorliegen einer Hodentorsion. Eine Hodentorsion bedürfe einer operativen Versorgung ohne Zeitverzögerung. Bei einer Behandlung durch eine operative Detorsion innerhalb der ersten 4 bis 6 Stunden nach Auftreten der Torsion bestünden gute Chancen, dass der Hoden überlebe.

 

Unter Berücksichtigung der Entscheidungen OLG Köln, Teilurteil vom 23.01.2002, AZ: 5 U 85/01, juris; OLG Dresden, Urteil vom 10.12.1998, AZ: 4 U 832/98; OLG Brandenburg, Urteil vom 14.11.2001, AZ: 1 U 12/01, juris; LG Regensburg, Urteil vom 23.07.2007, AZ: 4 O 2167/06 (2), juris und LG Augsburg, Urteil vom 07.12.2010, AZ: 4 O 4224/07, juris, sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 17.500 Euro angemessen. Die Kinderärztin habe auch für sämtliche Zukunftsschäden einzutreten, da es bei einem Verlust des weiteren gesunden Hodens zu einer Zeugungsunfähigkeit kommen könne. Ebenfalls seien die außergerichtlichen Gebühren mit einer 2,0-Geschäftsgebühr zu erstatten.

 

(Landgericht Lübeck, Urteil vom 09.07.2024, AZ: 12 O 49/22)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht & Verkehrsrecht

 
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