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Knieprothese nach Unfall: 20.000 Euro

07.08.2014

Die am 14.03.1950 geborene Mandantin wurde im Mai 2008 als Radfahrerin von einem PKW angefahren und zog sich hierbei massive Prellungen der Hüfte und des Beckens, eine Distorsion des rechten oberen Sprunggelenkes, diverse Schürfwunden sowie einen Schienbeinkopfmehrfragmentbruch rechts zu. Die Fraktur wurde am 26.05.2008 mit einer winkelstabilen Plattenosteosynthese unter Einsatz von keramischen Knochenersatzmaterial operativ versorgt. Die Mandantin befand sich vom 14.05.2008 bis 28.05.2008 in stationärer Behandlung und war in der Folgezeit 12 Wochen auf einen Rollstuhl angewiesen, durfte anschließend weitere 6 - 8 Wochen das rechte Bein nur teilweise belasten.

Es folgte eine langwierige krankengymnastische Behandlung. Am 18.02.2009 erfolgte einen Kniegelenksspiegelung rechts wegen anhaltender Schmerzen im verletzten rechten Knie. Die eingebrachte Platte wurde entfernt. Anschließend konnte die Mandantin 10 Tage das rechte Knie nur eingeschränkt belasten. Am 23.06.2009 erfolgte der operative Einsatz einer Kniegelenkstotalendoprothese, was mit einem weiteren stationären Aufenthalt verbunden war. Es schloss sich eine 4-wöchige Rehabilitationsmaßnahme an. Wegen der Operation hat die Klägerin eine 23 cm lange und eine 18,5 cm lange Narbe am rechten Knie zurückbehalten.

Zum Einwand der Versicherung, es habe schon vorher ein Kniegelenksschaden bestanden, so dass der Klägerin in jedem Fall eine Kniegelenksprothese eingebaut worden wäre, hat der Senat ausgeführt: Es stehe zur Überzeugung des Senates ferner fest, dass wegen des unfallunabhängigen, überdurchschnittlichen und gravierenden Verschleißes im rechten Kniegelenk überwiegend wahrscheinlich ebenfalls der Einbau einer Kniegelenksprothese erforderlich geworden wäre. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung im Senatstermin ihren Vortrag, dass Anlass für eine Kniegelenksspiegelung im Jahre 1995/1996 lediglich leichte Beschwerden gewesen seien, dahin klargestellt, dass sie unter Schmerzen gelitten und die zunächst verordnete Behandlung mittels Tabletten zu keiner Besserung geführt hatte, so dass die Kniegelenksspiegelung ärztlicherseits für erforderlich erachtet worden war.

Der Sachverständige hat sich auch mit dem Einwand der Klägerin, dass sie nach der Arthroskopie im rechten Kniegelenk bis zum Unfall beschwerdefrei gewesen sei, auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beschwerdefreiheit glaubhaft sei, insbesondere deshalb weil die Klägerin zuvor erheblich an Körpergewicht verloren hatte und seit den Arthroskopien beider Kniegelenke sportlich aktiv war. Er hat jedoch zugleich klargestellt, dass die Arthroskopie am rechten Knie den fortschreitenden Verschleißprozess, der den späteren Einbau einer Knieprothese im rechten Kniegelenk erforderlich gemacht hätte, nicht beendet habe. Allerdings sei die Dauer des Prozesses von verschiedenen Faktoren abhängig, insbesondere können sie auch von dem Lebensstil der Klägerin beeinflusst werden.

Der Sachverständige hat sich auch mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass das linke Knie nach der 2002 durchgeführten Arthroskopie bis zum heutigen Tage - mit Ausnahme einer vorübergehenden Beeinträchtigung aufgrund der unfallbedingten Mehrbelastung des linken Beines - keine Beschwerden verursachen soll. Er hat dabei plausibel und überzeugend dargelegt, dass daraus kein Rückschluss auf die weitere degenerative Entwicklung des rechten Kniegelenkes ohne den Unfall gezogen werden könne. Der Umstand, dass das linke Kniegelenk derzeit noch keine Beschwerden verursache, hat er plausibel anhand der ihm vorliegenden Behandlungsunterlagen damit erklären können, dass beim linken Knie zum einen erst 2002 und damit einige Jahre später als am rechten Kniegelenk der Verschleiß diagnostiziert worden sei und eine Kniegelenksspiegelung gemacht habe. Zum anderen sei der Verschleiß 2002 auch wesentlich weniger ausgeprägt gewesen als am rechten Knie. Die danach feststehende Vorschädigung führt jedoch nicht zu einer Minderung des Schmerzensgeldanspruches. Es ist zwar anerkannt, dass eine Vorschädigung im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeitserwägung bei der Bemessung des Schmerzensgeldanspruches mindernd zu berücksichtigen ist. Sie führt aber nicht in jedem Fall zur Kürzung des Schmerzensgeldes. Ob und ggf. in welchem Maße eine Vorschädigung den Anspruch mindert, ist eine Frage des Einzelfalles. Dabei darf nicht allein im Wege der Zukunftsprognose darauf abgestellt werden, ob sich der Gesundheitszustand zu einem späteren Zeitpunkt auch ohne den Unfall verschlechtert hätte. Von wesentlicher Bedeutung ist für die Bemessung des Schmerzensgeldes, ob der Verletzte vor dem Unfall trotz der Vorschädigung beschwerdefrei war (BGH NJW 1997, 455 f.; OLG Hamm DAR 2000, 263).

Vorliegend traf der Unfall zwar einen nicht gesunden, jedoch beschwerdefreien Menschen. Die Klägerin hat glaubhaft geäußert, was der Sachverständige auch für plausibel gehalten hat, dass sie nach der Kniegelenksspiegelung im rechten Knie mehrere Jahre beschwerdefrei war. Der Sachverständige konnte nur sehr grob und mit prognostischen Unsicherheiten behaftet angeben, wann ohne den Unfall die Implantation einer Prothese erforderlich geworden wäre. Dies war nach dem von ihm angegebenen Zeitraum von 2 - 7 Jahren nicht zeitnah zur tatsächlich erfolgten unfallbedingten Prothesenversorgung im Jahre 2009.

Der Klägerin steht daher, weil die immateriellen Schäden selbst bei kongruenten Nachteilen nicht konsumiert werden (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 249, Rn. 99 f.; OLG Naumburg, Urteil vom 28.04.2011, AZ: 1 U 5/11?=?BeckRS 2011, 17141) ein Schmerzensgeldanspruch wegen der Beschwerdefreiheit im Unfallzeitpunkt bis zur erfolgreichen Prothesenversorgung und damit bis Ende September 2009 zu. Der vom Senat für angemessen gehaltene Gesamtbetrag in Höhe von 20.000 Euro hält sich im Rahmen dessen, was in der Rechtsprechung bislang in vergleichbaren Folgen zugesprochen worden ist (vgl. OLG Hamm MDR 2012, 1409 f).

(OLG Hamm, Urteil vom 13.06.2014, AZ: I-9 U 201/13)

 Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 
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