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Zu lange Gentamycin-Therapie: 17.500 Euro

24.06.2022

Wegen einer Bioprothesen-Endokarditis mit thromboembolischen Komplikationen war eine Revisionsoperation an der Aortenklappen-Prothese notwendig. Nach der Revisionsoperation wurde die Patientin in ein anderes Krankenhaus verlegt. Bei Aufnahme bestand eine Niereninsuffizienz. Sie erhielt eine intravenöse Antibiose mit Vancomycin, Rifampicin und Gentamycin. Nach dreiwöchiger Behandlung mit dem Antibiotikum Gentamycin stellten sich bei der Mandantin Schwindel, Übelkeit und Erbrechen ein. Seit der Entlassung aus der stationären Behandlung leidet sie unter Schwindel und muss sich beim Gehen an Möbeln und Wänden in der Wohnung festhalten, um nicht zu stürzen.

Ich hatte der Klinik mit einem Gutachten der Ärztekammer Westfalen-Lippe vorgeworfen, das Antibiotikum Gentamycin grob fehlerhaft nahezu vier Wochen verabreicht zu haben, obwohl nach den Leitlinien die Gentamycin-Therapie eine Woche bis maximal 14 Tage durchgeführt werden solle. Es habe eine deutlich eingeschränkte Nierenfunktion bestanden. Die Antibiose hätte deshalb angepasst werden müssen. Mit zweimal 100 mg Gentamycin intravenös pro Tag sei dieses Medikament für die bestehende Einschränkung der Nierenfunktion eindeutig überdosiert gewesen. Es seien im Krankenhaus mehrfach Gentamycin-Spiegel bestimmt worden, die deutlich über der Norm gelegen hätten. Mit den erhobenen Nicht-Tal- sowie Bergspiegeln lasse sich eine effektive Therapie mit Gentamycin nicht steuern. Das Antibiotikum Gentamycin schädige das Gleichgewichtsorgan. Es seien deshalb eine Schwerhörigkeit und eine ausgeprägte vestibuläre Störung eingetreten. Dieses habe eine starke Beeinträchtigung im Alltag mit Schwindel und Gangunsicherheiten nach sich gezogen, die auch in der Zukunft weiter fortbestünde.

Der gerichtliche Sachverständige hatte diese Vorwürfe bestätigt: Die Therapie mit Gentamycin über knapp vier Wochen sei bei den erhöhten Nierenretentionsparametern nicht indiziert und zu lang gewesen. Die Therapie mit Gentamycin 100 mg 1-0-1 intravenös sei zu hoch dosiert gewesen. Es hätte frühzeitig eine Dosisanpassung an die abgenommenen Medikamentenspiegel erfolgen müssen. Die Überdosierung von Gentamycin könne zur Schädigung des Innenohrs und damit Schädigung der Gleichgewichtsorgane mit anhaltender Schwindelsymptomatik und Einschränkung der Mobilität und Innenohrschwerhörigkeit führen. Ein sofortiges Absetzen der Gentamycin-Therapie hätte ggf. zu einer leichten Progredienz oder Vermeidung der Symptomatik geführt. Es sei davon auszugehen, dass die Patientin durch die Innenohrschwerhörigkeit und die Störung des Gleichgewichtsorgans langfristige Schäden mit Einschränkungen im Alltag davongetragen habe. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass ein Teil dieser Beschwerden auch auf die zuvor erlitten Infarkte zurückzuführen seien.

Weil die Klägerin gegenüber dem Gericht zu Protokoll gab, es gehe ihr "den Umständen entsprechend normal", erteilte das Landgericht den Hinweis, ein Betrag in Höhe von 17.500 Euro zur Abgeltung des Schmerzensgeldes sei ausreichend und angemessen.

(Landgericht Bielefeld, Vergleich vom 28.01.2022, AZ: 4 O 137/19)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht & Verkehrsrecht

 
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