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Fehlerhafte Hautverpflanzung: 8.000,00 €

19.05.2014

Der damals 2-jährige Sohn der Mandanten erlitt am 28.03.2009 Verbrühungen vom Bauchnabel bis in den Bereich des Halses und des Kinns von insgesamt ca. 8 % der Körperoberfläche. Er wurde vom 28.03.2009 bis 15.04.2009 in der Kinderklinik stationär behandelt. Am 02.04.2009 führte der Chefarzt der Klinik eine Hauttransplantation durch. Er entfernte im rechten Schläfenbereich eine Hautschicht und setzte diese in den Bereich des Kinns und des Halses ein. Vorgesehen war eine Transplantation von Spalthaut. Auch hierüber war aufgeklärt worden. Tatsächlich enthielt das Transplantat aber Haarwurzeln, so dass sich im Entnahmebereich am Kopf eine kahle Stelle gebildet hat und im Bereich des Kinns und des Halses Haarwuchs auftritt. Der Sachverständige hat im Prozess ausgeführt, es sei fehlerhaft, dass die im rechten Schläfenbereich entnommene Haut an den Hals/ans Kinn verpflanzt wurde, obwohl intraoperativ zutreffend erkannt worden war, dass das Transplantat bis ins Fettgewebe hineinreichte und Haarwurzeln enthielt. Diese musste bei der Transplantation zu einem unerwünschten Haarwuchs an der Empfangsstelle führen musste. Ein Behandlungsfehler liege zwar nicht darin, dass die Hautentnahme zu tief erfolgt und statt Spalthaut teilweise Vollhaut mit Haarwurzeln entnommen worden sei.

Eine zu tiefe Entnahme können auch bei sorgfältigem Vorgehen nicht sicher vermieden werden, weil sich das Dermatom nicht immer exakt auf die richtige Schnitttiefe einstellen lasse und auch in seinem Andruck nicht ganz präzise zu dosieren sei. Vorzuwerfen sei dem Operateur allerdings, dass er die entnommene Haut an Hals und Kinn verpflanzte, obwohl klar abzusehen war, dass dies dort zu einem unerwünschten und vermeidbaren Haarwuchs führen würde. Die Verpflanzung der entnommenen Vollhaut führe zwingend dazu, dass es zu einem unnatürlichem und bei einem kleinen Kind auffälligen Haarwuchs im Bereich des Halses/Kinns komme, der sich auch später von einem natürlichen Bartwuchs unterscheiden werde. Ein solches Operationsergebnis sei zu vermeiden, wenn es mit dem Patienten nicht abgestimmt sei.

Es habe zum einen die Möglichkeit bestanden, die entnommene Haut ohne die Haarwurzeln teilweise zu verwerten. Ebenso hätte die entnommene Haut insgesamt an die Entnahmestelle retransplantiert werden können. Anschließend hätte ein neues Transplantat angefertigt werden können. Man hätte die entnommene Haut auch komplett verwerfen und zwei neue Tansplantate anfertigen können. Eines zur Defektdeckung an der ursprünglichen Entnahmestelle, das andere zur Transplantation. All diese Möglichkeiten hätten den unnatürlichen Haarwuchs verhindert und wären für den Kläger mit keinen unvertretbaren Belastungen verbunden gewesen. Es wäre insbesondere möglich gewesen, die Haut von der gegenüberliegenden Schläfe zu entnehmen oder die benötigte Haut von anderen Körperregionen, z.B. vom Oberschenkel, zu gewinnen.

Dass Vollhaut grundsätzlich funktionelle Vorteile biete, sei in der gegebenen Konstellation kein taugliches Argument, weil man sich vor der Operation bewusst für die Transplantation von Spalthaut entschieden habe und die Eltern des Klägers auch entsprechend aufgeklärt wurden. Bei der Höhe des Schmerzensgeldes sei zu berücksichtigen, dass der Kläger unter starkem Juckreiz an Hals und Kinn leide. Neben dem Juckreiz müsse der Kläger täglich rasiert werden, wodurch sich Entzündungen ausbildeten. Damit könne ein kleines Kind nur schwer oder gar nicht umgehen. Falls sich der Kläger in Zukunft weiteren Maßnahmen zur Haarentfernung unterziehen werde, seien diese durch das Schmerzensgeld abgegolten. Eine Haarentfernung sei nicht mit schwerwiegenden Folgen verbunden. Der Feststellungsantrag sei begründet, da es nicht nur ganz entfernt möglich sei, dass aufgrund von Folgebehandlungen weitere Schäden eintreten. Bezüglich weiterer immaterieller Schäden beschränke sich die Ersatzpflicht auf solche Folgen, die derzeit aus fachkundiger Sicht nicht vorhersehbar seien, weil alle anderen Folgen bereits bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt worden wären.

(Landgericht Tübingen, Urteil vom 02.05.2014, AZ: 8 O 41/12)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 
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