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Keine Befangenheit des Richters bei Vorbefassung

11.07.2013

Mein Mandant hatte den Beklagten wegen einer gefährlichen Körperverletzung auf Schmerzensgeld und Feststellung weitergehender Ersatzansprüche in Anspruch genommen. Er ist Polizeibeamter und wurde bei Polizeieinsatz von dem Beklagten vorsätzlich verletzt. Der Beamte war  für 2 1/2 Wochen krankgeschrieben und erlitt nicht unerhebliche Verletzungen. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichtes Hechingen war der abgelehnte Richter als Einzelrichter für die Bearbeitung des Zivilrechtsstreites zuständig. Er hatte bereits an der Strafverhandlung vor der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichtes Hechingen gegen den Beklagten und weitere Beteiligte wegen desselben Vorfalls als Beisitzer mitgewirkt. Auf die Verhandlung wurde der (seinerzeit geständige) Beklagte wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil wurde ohne Einlegung eines Rechtsmittels sogleich rechtskräftig. Der Beklagte hatte außergerichtlich zur Schadenswiedergutmachung 4.000 Euro an meinen Mandanten gezahlt.

Der Beklagte hat den Einzelrichter wegen der Mitwirkung an dem gegen ihn geführten Strafverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er ist war Ansicht, bereits aus § 41 Nr. 6 ZPO folge ein Ausschluss des Richters. Der Beklagte hege die berechtigte Besorgnis, der Richter könne aufgrund seiner Vorbefassung nicht mehr unbefangen über den Sachverhalt urteilen.

Das Ablehnungsgesuch ist zulässig, hat in der Sache keinen Erfolg. Der Einzelrichter ist nicht schon nach § 41 Abs. 6 ZPO von der Entscheidung ausgeschlossen, weil das Strafverfahren sich weder als früherer Rechtszug des vorliegenden Zivilrechtsstreites noch als schiedsrichterliches Verfahren darstellt. Eine analoge Anwendung der Vorschrift kommt nach ihrem Sinn und Zweck nicht in Betracht. Auch eine Ablehnung nach § 42 Abs. 1, 1. Alternative ZPO scheidet aus. Nur die Besorgnis der Befangenheit kommt als Ablehnungsgrund in Betracht.

Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist nach § 42 Abs. 2 ZPO anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1220, std. Rechtsprechung). Ein solcher Grund liegt nicht vor.

Dass ein Richter über einen Sachverhalt, mit dem er bereits früher dienstlich befasst war und dabei eine Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer (jetzigen) Prozesspartei getroffen hat, in einem neuen Rechtsstreit erneut entscheiden muss, rechtfertigt für sich genommen nicht die Besorgnis der Befangenheit, auch nicht aus Sicht der von der ersten Entscheidung nachteilig betroffenen Partei. Dass Vorkenntnisse des Richters von dem zu beurteilenden Sachverhalt oder (bei innerfamiliären Streitigkeiten) den Verhältnissen der Beteiligten im Gegenteil sogar als förderlich für die Entscheidungsfindung angesehen werden, findet seinen Ausdruck sowohl im Gesetz (vgl. § 23 b GVG sowie die Zuständigkeitsvorschriften des FamFG, die Entscheidungskonzentration für alle Familiensachen unter denselben Beteiligten beim Gericht der Ehesache vorsehen) als auch in den Regelungen der Geschäftsverteilungspläne vieler Gerichte, die im Zusammenhang stehende Sachen dem bereits vorgefassten Spruchkörper zuweisen.

Das gilt bei richtiger Auffassung nicht in Fällen prozessual typischer Vorbefassung (z.B. Vorentscheidung über Prozesskostenhilfe - Entscheidung in der Hauptsache; Entscheidung im summarischen Verfahren - ordentlicher Rechtsstreit; Entscheidungen über wechselseitige Schadensersatzansprüche aus Verkehrsunfall oder Tätlichkeiten), sondern auch in atypischen Fällen wie dem vorliegenden.

Nur wenn über die bloße Mitwirkung des Richters hinaus weitere Gesichtspunkte hinzukommen, die aus Sicht auch einer verständigen Partei die Befürchtung wecken können, der Richter könne nicht mehr unbefangen urteilen, ist die Ablehnung begründet.

Soweit die Besorgnis der Befangenheit bereits dann bejaht wird, wenn der nunmehrige Zivilrichter denselben Sachverhalt bereits als Strafrichter beurteilt hat (OLG Koblenz NJW 1997, 2213), vermag die Kammer dem in dieser Angelegenheit nicht zu folgen. Vielmehr macht es einen wesentlichen Unterschied, ob eine strafrechtliche Verurteilung (zumindest auch) auf einem für glaubhaft erachteten Geständnis des Angeklagten beruht oder der Strafrichter, weil der Angeklagte schweigt und die Tat bestreitet, seine Überzeugung von dessen Schuld erst in einem mühsamen Indizienprozess gewinnen kann. Der im Strafprozess für glaubwürdig befundene Angeklagte hat keinen Grund zu der Annahme, der Richter sei ihm gegenüber voreingenommen. Sollte er sich im neuen Rechtsstreit mit seinem Tatsachenvortrag zu eigenen früheren, aktenkundigen Einlassungen im Strafverfahren in Widerspruch setzen, wird dies jeder Richter, nicht nur der bereits im Strafprozess tätig gewesene, bei seiner Überzeugungsbildung kritisch würdigen. Im Übrigen teilt er dieses Schicksal mit dem Kläger, soweit dieser, wie hier, im Strafverfahren als Zeuge vernommen wurde.

Nachdem der Beklagte im Strafverfahren geständig war und seine Verurteilung als rechtens hingenommen hat, ist aus seiner Sicht kein vernünftiger Grund für die Annahme erkennbar, der abgelehnte Richter werde den vorliegenden Fall nicht nach Recht und Gesetz entscheiden.

(Landgericht Hechingen, Beschluss vom 26.06.2013, AZ: 2 O 99/13)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 

 

 
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